„Die westliche Auffassung vom Körper als Quelle der Sünde hat in Japan nie Fuß gefasst. Das Konzept von rein vs. unrein existiert in diesem Zusammenhang nicht. Sex, Erotik, Pornografie – all dies ist Teil des Lebens, der Kunst zumal, ein natürliches menschliches Bedürfnis, das in Japan keiner moralischen Wertung unterworfen wird. Was jemand mit seinem Körper anstellt ist seine Privatsache.“ – Natalia Czarkowska im Katalogtext zu Kinky City, Leica Galerie Warschau, 2014Die Nächte in Tokio sind voller Spielzeug. Puppen, Kostüme, Nadel und Faden, Masken, Fancy Dress und – im Dunkeln verborgen – Etliches mehr. Freilich handelt es sich um Spielzeug nicht für Kinder, sondern für Erwachsene. Paweł Jaszczuk hat sie beim Spielen beobachtet. Das ging nicht von heute auf morgen. Über drei Jahre hinweg hat er sich nach seinen Dayjobs in das Nachtleben der Millionenstadt gestürzt, hat sich zu später Stunde auf sein Fahrrad geschwungen und sich auf die Suche gemacht nach den Swinger Clubs und Happening Bars, den Couple Kissas und privaten Sex-Parties von Tokio. Er hat die Besitzer für sich gewonnen, hat an den Tresen und in den Separees gesessen, schlechte Musik gehört und die Gäste davon überzeugt, sich beim Ausleben ihrer Fantasien von ihm ablichten zu lassen. Dabei übernahm er den Part des Voyeurs, der in den Clubs ohnehin fester Bestandteil des Rollenangebots ist – gewöhnlich natürlich ohne Kamera. In den Fotografien begegnet man einem Reigen aus Tradition und Pop, Schmerz und Begehren, Sex und Tabu, Intimität und Anonymität. Jaszczuk benutzte seine Leica und einen extrem lichtempfindlichen Film, dem kaum etwas verborgen bleibt.
Die pornografische Direktheit der Bilder, die extreme Körperlichkeit im Spiel von Dominanz und Unterwerfung und das Panoptikum an Fetisch-Utensilien – vom Schulmädchen-Outfit bis zur SS-Uniform – machen die Serie zu einem durchaus verstörenden Erlebnis. Momente rauschhaften Taumels, aufgenommen aus extremer Nahsicht, werden unterbrochen von Szenen im distanzierteren Blick des Beobachters, ein Wechsel von Ekstase, oft jenseits der Schmerzgrenze, und Ernüchterung.
Die Nacht erscheint dabei als der Ort für das Andere des durchregulierten Alltags, gleichzeitig ist aber auch die erotische Praxis, wie kinky sie auch immer sei, bestimmt von einem Set aus wiederkehrenden Rollen, Motiven, Verkleidungen und Traditionen, wie diejenige der kunstvollen Fesselung, bekannt als Kinbaku oder Shibari.
Der Tagesanbruch schließlich bedeutet für die Nachtschwärmer vor allem einen Wechsel des Kostüms: aus Latexstrampler und Schürze in Anzug und Businesskostüm, die die Wunden der vergangenen Stunden verdecken.