Bocholt (lwl). Knapp zwei Monate nach dem Lockdown auf Grund der Corona-Maßnahmen hat der Landschaftsverband Westfahlen-Lippe (LWL) am Dienstag (5.5.) die Türen seiner Museen wieder geöffnet. Ab sofort sind Gäste zu den gewohnten Öffnungszeiten im Textilwerk Bocholt herzlich willkommen - natürlich mit Einschränkungen, damit Hygiene- und Abstandsregelungen eingehalten werden können. Alle Infos dazu gibt es im Internet unter www.lwl-industriemuseum.de. Besucher können die Dauerausstellungen sowie die neue Sonderausstellung „Mythos Neue Frau“ und „Zukunft Jetzt!“, eine Ausstellung zum Abschluss des Bauhaus-Jahres, besuchen. Nur einige kleine Räume wie die Obergeschosse und der Keller im Arbeiterhaus sind geschlossen, um Begegnungen zu vermeiden. Die Maschinenvorführung in der Weberei ist in angepasster Form auf individuelle Nachfrage möglich. Führungen bietet das Museum zur Zeit nicht an. Dafür stehen Mitarbeiterinnen im Besucherdienst von Dienstag bis Freitag jeweils von 14 bis 18 Uhr sowie am Samstag und Sonntag von 10 bis 18 Uhr für individuelle Fragen in der Weberei und der Spinnerei bereit.Für Besucher mit Hörbehinderung steht diesen „Live-Speakern“ am Samstag (9.5.) und Samstag (23.5.) von 15 bis 16 Uhr ein Gebärdendolmetscher zur Seite.
Mythos Neue FrauBis zum 25. Oktober geht das LWL-Industriemuseum in einer neuen Ausstellung dem „Mythos Neue Frau“ nach. Die Schau im Textilwerk Bocholt zeigt, wie Mode und Kleidung in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf die rasanten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen reagierten. Über 130 Originalkostüme und viele weitere historische Exponate, Objekte aus dem Alltag sowie zahlreiche Fotografien und zeitgenössisches Filmmaterial lassen die Zeit zwischen 1900 und 1930 lebendig werden. Klassiker wie der sogenannte „Stresemann“ und Charlestonkleider sind ebenso vertreten wie die Reformkleider der 1910er Jahre, Sportbekleidung für Frauen und ein ausgefallener Autofahrerinnen-Mantel. „In dieser wirklich fulminanten Ausstellung mit ihren außergewöhnlichen Objekten werden der Wechsel hin zum heute noch gültigen Bekleidungsschema und die dafür verantwortlichen Bedingungen deutlich,“ erklärt Martin Schmidt vom LWL-Industriemuseum.
HintergrundSchon vor dem Ersten Weltkrieg hielt eine nie gekannte Modernisierung aller Lebensbereiche die Gesellschaft in Atem. Straßenbahnen, Automobile und Fahrräder versprachen eine neue Form der Mobilität. Auch die Arbeitswelt war in den Strudel der rasanten Veränderungen einbezogen. Immer mehr Frauen arbeiteten nicht nur in den Fabriken, sondern auch in den Telefonzentralen, Kaufhäusern oder Büros, als Lehrerin oder Laborantin. Ob am Arbeitsplatz, beim Einstieg in die Straßenbahn oder auf der Rolltreppe im Warenhaus - die Frauen waren für die neuen Lebensumstände noch völlig unpassend angezogen. Die großen und einengenden Roben des Kaiserreichs passten nicht mehr in die modernisierte Welt, Kleidung musste funktionaler werden. Frauen legten Korsett und mehrere Lagen Unterröcke ab, die Röcke wurden kürzer, die Stoffe leichter. Die Kleidung wurde zweckmäßiger, sachlicher und ließ ihren Trägerinnen mehr Bewegungsfreiheit.
Der Erste Weltkrieg erschütterte die Gesellschaft, er stellte die politischen Verhältnisse auf den Kopf und hatte ebenso seinen Anteil an den großen Veränderungen des Bekleidungsmusters. Er führte einerseits zum erzwungenen Konsumverzicht, andererseits zu einem neuen, puristischen Modestil. Auch nach dem Krieg blieb es bei dem sparsamen Einsatz von Stoff in der Modebranche und so avancierte das kleine, kurze Charlestonkleid zu einem modischen „must-have“.
Bekleidung – Originale aus allen Gesellschaftsschichten – sind aus den Sammlungen der beiden Industriemuseen in NRW zusammengetragen worden. „Eben diese Vielfalt an Objekten und nicht allein das Couturekleid erlaubt es, den Wandel des Frauenbildes zu verdeutlichen und gleichzeitig das mittlerweile zum Topos mutierte Bild der ‚Neuen Frau‘ kritisch zu hinterfragen“, sagt Christa Frins, die für das Textilwerk Bocholt als Projektleiterin die Ausstellung kuratierte. Es geht in „Mythos Neue Frau“ nicht einfach darum, den modischen Wechsel vom eng geschnürten Ballkleid zum freizügigen Charlestonmodell zu illustrieren, sondern die gesellschaftlichen Veränderungen aufzuzeigen. „Aber natürlich kommt der Glamour-Faktor nicht zu kurz“, freut sich Frins.
„Mythos Neue Frau“ ist eine Ausstellung des LVR-Industriemuseums Textilfabrik Cromford in Kooperation mit dem LWL-Industriemuseum und mit Unterstützung des Ruhr Museums Essen und Teil des Verbundprojektes „Bauhaus 100 im Westen“.