Das World Wide Webb des britischen Künstlers Thomas Webb ist eine virtuelle Welt, die von Künstlicher Intelligenz und Echtzeitdaten angetrieben wird. Über den Browser des Smartphones betreten die digitalen Besucher*innen die Welt und sind eingeladen, sich in auswegloser Nostalgie zu üben. Das World Wide Webb ist eine Multiplayer-Simulation, ein digitaler Ausstellungsraum und eine Welt voller Kunst und Charaktere, mit denen die Besucher*innen interagieren können. Webb hat außerdem die soziale Spontaneität der Welt vor der Corona-Krise nachgebildet.Laut dem Kulturtheoretiker Mark Fisher ist die Zukunft verloren gegangen, weil immer wieder in die Vergangenheit zurückgekehrt und in Nostalgie geschwelgt wird, wenn Zukunftskonzepte entwickelt werden. Aufgrund der globalen Pandemie wurde nicht nur die Zukunft, sondern auch die Gegenwart gecancelt. Webb spielt mit der Faszination für die Vergangenheit, wenn er die Videospiel-Ästhetik der 80er Jahre imitiert. Eine alte Technologie ist für ihn der Ausgangspunkt, um sich die nahe Zukunft vorzustellen.
Webb hat eine Welt erschaffen, in der Daten ein Allgemeingut sind. Was wäre, wenn Unternehmen Daten nicht verkaufen dürften, sondern Daten teilen müssten? Was wäre, wenn Daten nicht im Interesse eines Unternehmens genutzt werden? Wie fühlen sich Menschen, wenn eine KI ein Leben für sie maßschneidert, basierend auf ihrer Persönlichkeit, ihren Entscheidungen und den Dingen, die sie durch Technologie erleben?
In der KÖNIG GALERIE sind 12 digitale Kunstwerke von Webb ausgestellt. Er zeigt, mit welchen Einschränkungen aktuell die Nutzung von Daten verbunden ist, weil Tech-Unternehmen die gesammelten Daten nicht teilen. Gleichzeitig schafft er Räume, in denen die Benutzer Verbindungen durch Technologie erfahren können, ohne dass ihre Handlungen monetarisiert werden. RAINFALL zum Beispiel ist ein Algorithmus, der Momente erschafft, die von zwei oder mehr Personen geteilt werden können. Mit DEPRESSED TWITTER trägt Webb zum Dialog über die Auswirkungen von sozialen Medien auf die psychische Gesundheit bei. Die Tweets über Depressionen ohne die Anzeige der üblichen Informationen wie Benutzername, Profilbild, Follower-Zahlen und Likes erinnern daran, dass Personen, die unter den sozialen Medien leiden, häufig sozial stigmatisiert sind. Wenn die digitalen Besucher*innen die Galerie verlassen, betreten sie eine KI-gesteuerte Simulation: Wie ist es, in einer Welt zu leben, in der Daten frei sind?
Cambridge Analytica hat Facebook-Nutzer*innen Quizfragen beantworten lassen, um ihre Persönlichkeit zu erfassen. Die gesammelten Daten wurden verwendet, um die Wähler*innen während der US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 zu beeinflussen. Webb trainiert stattdessen künstlich intelligente Avatare, die mit den emotionalen und logischen Entscheidungen der Spieler arbeiten und ihre Erzählungen in Echtzeit daran anpassen. Nach Abschluss der Simulation gibt Webb Einblicke in seinen Algorithmus. Der Algorithmus basiert auf demselben Persönlichkeitstestsatz, der von Cambridge Analytica verwendet wurde; die Spieler werden kategorisiert nach ihrer Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotik und das durch die Linse von Webbs Erfahrungen im digitalen Zeitalter. Gehen Menschen einen anderen Weg, wenn sie erfahren haben, wie der Algorithmus und damit ihre Handlungen und Entscheidungen ihren Weg beeinflussen? Mit Blick auf neue Technologien wird oft ein dystopisches Bild gezeichnet. In der Welt von Webb allerdings ist das Ziel der KI, eine Utopie anzubieten.
Thomas Webb ist Künstler, Hacker und Programmierer. Er hinterfragt Systeme, soziale Medien und Technologie und befasst sich mit den Konsequenzen unserer Abhängigkeit von Software und Hardware. Er nutzt Elektrotechnik und Computerprogrammierung, um KI, Deep Learning, Mikroelektronik und Echtzeitdaten als künstlerisches Medium zu nutzen. Technologie und zeitgenössisches Leben stellt er einander gegenüber, um die soziale Dynamik des digitalen Zeitalters zu erforschen.
EXERCISE IN HOPELESS NOSTALGIA ist Teil der Ausstellungsreihe THE ARTIST IS ONLINE, kuratiert von Anika Meier und Johann König, die sich auf Kunst im digitalen Zeitalter konzentriert. Die Ausstellung kann über die App KÖNIG GALERIE und den folgenden Link erlebt werden: https://webb.game/