Den Ausgangspunkt der Präsentation markiert die Krise des Subjekts zu Beginn des 19. Jahrhunderts und der damit verbundene Kampf um Freiheit. Die freiheitlichen Ideen der französischen Revolution verbreiten sich über ganz Europa, gleichzeitig überzieht Napoleon Bonaparte den Kontinent mit Krieg. Die konservativen Regierungen in Russland und den deutschen Staaten zielen darauf, Bürgerrechte einzuschränken. Dieser Zeit des Umbruchs stellen die Künstler*innen der Romantik einen von Gefühlen dominierten künstlerischen Kosmos mit revolutionärem Potential entgegen. Ihre Träume von Freiheit verbinden künstlerischen Individualismus mit gesellschaftlichen Utopien. Es entwickelt sich eine neue, bahnbrechende Kunstauffassung mit einem ganz eigenen Stil in der Malerei, der Komposition und der Deutung klassischer Erzählungen der antiken und biblischen Geschichten, wie auch der wichtigsten Gattung dieser Epoche: der Landschaftsmalerei.
Der Konflikt zwischen Einschränkung und Freiheit, Heimat und Wahlheimat, innerlichem Rückzug und Aufbruch zieht sich dabei als roter Faden durch die Präsentation. Abseits der einengenden Lebenswelten im Norden Europas zeigt sich Italien als ein Sehnsuchtsort, wo ein Leben in Freiheit unter Gleichgesinnten möglich schien. Im Zentrum stehen die Gemälde der Romantik, darunter herausragende Meisterwerke von Caspar David Friedrich, Alexei Gawrilowitsch Wenezianow, Carl Gustav Carus und Alexander Andrejewitsch Iwanow. Die Ausstellung basiert auf dem Bestand an Werken der Staatlichen Tretjakow-Galerie und des Albertinum. Wertvolle Leihgaben namhafter Institutionen, darunter aus der Hamburger Kunsthalle, den Staatlichen Museen zu Berlin, der Klassik Stiftung Weimar und der Kunstsammlung Chemnitz, sowie auf russischer Seite der Staatlichen Eremitage und dem Russischen Museum in Sankt Petersburg sowie dem Staatlichen Museum für bildende Künste A.S. Puschkin in Moskau ergänzen die Präsentation.
Hinzu kommen ausgewählte Objekte, die mit dem Leben der Künstler*innen und anderer historischer Persönlichkeiten verbunden sind, wie beispielsweise der Dirigierstab Carl Maria von Webers oder die Stiefel Napoleons, die er vermutlich beim Russlandfeldzug 1812 trug. In Moskau wird es einen eigenen Ausstellungsbereich geben, der Manuskripte und Bücher der Zeit, insbesondere auch Dokumente zu den künstlerischen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland in den Fokus rückt. Auf diese Weise wird die Epoche in der Vielfalt ihrer kulturellen Zeugnisse für die Besucher*innen erlebbar. Die Ausstellung bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte in die heutige, politisch nicht weniger komplexe Zeit und ist deshalb von großer Aktualität. Dies spiegelt sich in den ausgewählten internationalen Positionen der zeitgenössischen Kunst wider, vertreten durch Susan Philipsz, Mathilde ter Heijne, Marlene Dumas, Wolfgang Tillmans, Jaan Toomik, Andrey Kuzkin und Boris Mikhailov, die sowohl ästhetische als auch inhaltliche Bezüge zur Zeit der Romantik herstellen und deutlich machen, warum die Romantik als Beginn der Moderne betrachtet wird.
Das Ausstellungsdesign verantwortet der US-amerikanische Architekt Daniel Libeskind, der die Werke des 19. Jahrhunderts mit einem zeitgenössischen Architekturentwurf kommentieren wird. Libeskind möchte darüber hinaus die beiden Gebäude, in denen die Ausstellung stattfinden wird, mit einer Außeninstallation visuell miteinander verbinden und so die Zusammengehörigkeit der beiden Standorte noch stärker verdeutlichen.
Die umfangreiche, interdisziplinäre Ausstellung wurde von einem Kurator*innenteam aus beiden Häusern gemeinsam konzipiert und entwickelt. Alle Beteiligten wirkten gleichberechtigt an der Auswahl der Werke, der inhaltlichen Struktur und der gemeinsamen begleitenden Publikation, welche im Hirmer-Verlag auf Deutsch, Englisch und Russisch erscheinen wird, mit. Die Ausstellung „Träume von Freiheit. Romantik in Russland und Deutschland“ ist Teil des Programms des Deutschlandjahres in Russland 2020/2021 und wird vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland gefördert. Sie ist ein wichtiger Schritt, um den Dialog zwischen den deutschen und russischen Museen zu intensivieren.
Michelle Müntefering, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt: „Die Ausstellung, entstanden in Kooperation zweier führender Kunstmuseen aus Deutschland und Russland, ist ein bemerkenswertes Projekt des Kulturaustauschs. Sie beschreibt in Bildern den seit Jahrhunderten bestehenden deutsch-russischen Dialog in Kunst und Gesellschaft. Dadurch schafft sie eine Plattform für Begegnung zwischen unseren Ländern in einer gesamteuropäischen Perspektive. Das Auswärtige Amt fördert die Ausstellung im Rahmen des laufenden Deutschlandjahrs in Russland. Denn der menschliche und kulturelle Austausch ist auch und gerade in politisch schwierigen Zeiten wichtig.“
Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden: „Wir sind sehr glücklich, dass wir die Ausstellung nach mehrmaliger Verschiebung nun endlich in der Staatlichen Tretjakow-Galerie in Moskau eröffnen können. In Zeiten, in denen wir aufgrund der immer noch geltenden Corona-Bedingungen nur eingeschränkt reisen können, hoffen wir, dass wir mit den „Gästen“ aus Dresden dem russischen Publikum gerade in diesem Jahr eine besondere Freude machen können. Als ein echtes russisch-deutsches Kooperationsprojekt, bei dem die Zusammenarbeit nicht enger hätte sein können, ist die Ausstellung zudem ein wichtiges Signal für die Stabilität des kulturellen Dialogs zwischen Russland und Deutschland.“ Zelfira Tregulova, Generaldirektorin der Staatlichen Tretjakow-Galerie: „Das Ausstellungsprojekt in der Staatlichen Tretjakow-Galerie ist für uns ein herausragendes Ereignis und gerade in Zeiten der Pandemie ein starkes Signal. Die Präsentation verdeutlicht Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Kunst der Romantik beider Länder, zeigt dabei den Ursprung von zeitgenössischem künstlerischen Denken, ihre Konzepte und ihre Geisteshaltung. In dieser Draufsicht wird offenbar, dass wir bis heute ein Stück in der Tradition dieser Epoche stehen, in der das Konzept der Freiheit und der kreativen Individualität erstmals aufkam. In der Ausstellung treten künstlerische Positionen von heute in einen Dialog mit denen der Romantik und veranschaulichen mit ihren Beiträgen, dass sie die vor 200 Jahren entwickelten Konzepte weitergedacht haben.“
Hilke Wagner, Direktorin Albertinum: „Die Ausstellung macht deutlich, dass unsere Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts die gesellschaftlichen Prozesse, die vor 200 Jahren initiiert wurden, fortsetzt: die Frage nach dem Subjekt, einem selbstbestimmten, freiheitlichen Leben und nach Geborgenheit in einer selbst gewählten Heimat, aber auch Bedrohungen durch Kriege und die Kraft von Emanzipationsbestrebungen bewegen uns heute wie damals. Dem polnisch-stämmigen, US-amerikanischen Architekten Daniel Libeskind ist es mit seiner Ausstellungsarchitektur gelungen, die Komplexität der Themen, die Brüche, Widersprüche und aktuelle Relevanz geradezu körperlich erfahrbar zu machen.“
22. April bis 8. August 2021, Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau2. Oktober 2021 bis 6. Februar 2022, Albertinum, Dresden
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