La Turbo Avedon ignoriert bewusst das Fehlen von realer Körperlichkeit und Geschlechterzuschreibung und betont stattdessen die Potenziale nicht-physischer und fluider Identitäten. Doch nicht nur Identität steht im Fokus der Arbeit von La Turbo Avedon, sondern auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Medium Internet und den technologischen Umbrüchen der neuen Web3 Generation.
Als Künstler*in „geboren“ wurde La Turbo Avedon 2008/09 im Metaversum des kollektiven Online-Computerspiels Second Life. Seither lebt und arbeitet La Turbo Avedon als selbst kreierte Persona im Internet und produziert dort digitale Installationen, Simulationen, digitale Skulpturen, Fotografien, Videos und Performances und betreibt auch selbst virtuelle Kunsträume wie Club Rothko und Panther Modern. „Mitte der 2000er Jahre realisierten wir die Fiktionen des Cyberspace auf der Verbraucherebene, und das war der Punkt, an dem ich endlich als Künstler*in einsteigen konnte“, so La Turbo Avedon.
Die umfangreiche, queere und subkulturelle Geschichte der Neuen Medien und der Anfänge des Internets beschäftigt La Turbo Avedon immer wieder in der Erschaffung der eigenen Identitäten, der Erforschung von virtuellen Welten und in Computerspielumgebungen von Massive Multiplayer Online Games. In der Ästhetik bezieht sich La Turbo Avedon auf Videospielumgebungen von Rollenspielen wie Fortnite, Minecraft, Dark Souls, Diablo, Overwatch oder Final Fantasy. Um 1995 begann La Turbo Avedon, die ersten Player für das Super-Nintendo-Computerspiel Chrono Trigger zu erstellen. Es folgten virtuelle Identitäten auf den frühen Versionen der Sozialen Medien, MySpace und Facebook.
Für die Ausstellung im MAK entwickelte La Turbo Avedon die fiktive Welt Pardon Our Dust, eine neue Arbeit, die eine aus der Perspektive des Avatars erzählte Narration in Form einer endlos geloopten Simulation entspinnt. Die detailreichen 3D-Inhalte und Umgebungen wurden auf einer eigenen Software Engine generiert und gerendert.
Die Simulationbeginnt und endet an einer überfluteten Tankstelle mit dem Signet „Lethe“. Der Name steht in Verbindung mit dem mythologischen Fluss Lethe: Sein Name bedeutet Vergessen, auch im Sinne von Verborgenheit. Wer vom Wasser der Lethe trinkt, verliert dem griechischen Mythos zufolge vor dem Eingang ins Totenreich seine Erinnerung, um alles davor Gewesene zu vergessen und wiedergeboren werden zu können.
Während sich der Handlungsstrang auf der zentralen Projektion entwickelt, zeigen die vertikalen Screens verschiedene Überwachungsansichten des Avatars, zu denen sich sein Monolog entfaltet. Die Bildsequenzen bewegen sich durch mehrere scheinbar verlassene virtuelle Umgebungen, wobei das Avatar-Ich verschiedene Konstruktionsversuche des Metaversums und des Web3 durchläuft und über deren Zweck nachdenkt. Unterschiedliche Interaktionen mit Wasser strukturieren die komplexe Erzählung.
Ein Machine-Learning-Algorithmus übernimmt schließlich die Kontrolle über die gerenderten Bildsequenzen: Die abstrakten Bilder erinnern an digitale Malerei und verdichten sich schließlich zu einem zeitlosen virtuellen Raum mit den Markenbotschaften „Land Sale“, „Exclusive“ und „Drop“. Immer wieder spiegeln sie sich ineinander, bis die Wahrnehmung auf ein schimmerndes Licht in der Ferne gelenkt wird: „Lethe“. Die überflutete Tankstelle kommt wieder ins Bild, und der Loop endet.
La Turbo Avedon nimmt eine kritische Position zur vermeintlichen Dezentralisierung des Internets, zur Privatisierung im digitalen Raum und dem in der Krypto-Community weitergetriebenen kommerziellen und kolonialistischen Erbe der physischen Welt ein. „Land Sale“ ist eine Anspielung auf Immobilienspekulationen im Metaverse und die Privatisierung von Online-Property durch globale Korporationen und private Investoren. „Exclusive“ und „Drop“ zitieren den Fachjargon der Krypto-Community, die NFT (Non-Fungible Token)-Verkäufe ankündigt.
Der Titel Pardon Our Dust nimmt Bezug auf den Aufbau des Internets der 1990er Jahre, als dieser Slogan für in Bearbeitung befindliche Websites benutzt wurde. „Diese Vorstellung einer digitalen Baustelle hatte eine gewisse Zärtlichkeit. Im Jahr 2022 ist die Stimmung eine ganz andere. Mit Web3, Metaverse und Kryptowährungen vollzieht sich ein massiver Wandel in den virtuellen Welten. Kein Stein bleibt auf dem anderen“, so La Turbo Avedon zum aktuellen Projekt im MAK.
In der zeitbasierten Installation werden die vertikalen Bildschirme zu Wahrsagemaschinen mit einer animierten Variante von LaTurbo, die die Besucher*innen direkt adressiert. Anstatt ihnen ihr Schicksal oder Vorhersagen für morgen anzubieten, fordern die Bildschirme die Besucher*innen auf, Blumen zu hinterlassen. Der Avatar bittet die Gäste um „a flower left, forever more“, um einen Raum der Kontemplation zwischen dem Virtuellen und dem Physischen zu schaffen.
Das kreative Potenzial des Avatars sieht La Turbo Avedon darin, die immer intensiver werdende Beziehung zwischen Nutzer*innen und virtuellen Erfahrungen zu erforschen und kreative Umgebungen zu schaffen, die die Bedeutung der im Cyberspace gefundenen Erinnerungen vertiefen können. Mit Pardon Our Dust stellt La Turbo Avedon eine Perspektive vor, die eine neue, kritische Betrachtung dieser Entwicklung für Gemeinschaften und offene digitale Räume in den Fokus rückt.
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