Mit Expressionisten am Folkwang nimmt das Museum Folkwang zum 100. Jubiläum in Essen einen Sammlungsschwerpunkt in den Fokus, der eng mit der Geschichte des Hauses verwoben ist. Anhand von etwa 250 Meisterwerken des Expressionismus zeichnet die Ausstellung die vielfältigen Verbindungen zwischen Künstler:innen und Museum nach und beleuchtet das Sammlungs- und Ausstellungsgeschehen rund um diese Kunstrichtung vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute.„Es ist eine ausgewählt schöne Sammlung, wie sie wohl selten zustande kommt.“ Mit diesen Worten beschrieb August Macke im Sommer 1908 seine Eindrücke von einem Besuch im Museum Folkwang in Hagen. Das Museum war zu diesem Zeitpunkt erst wenige Jahre alt. Karl Ernst Osthaus hatte es 1902 gegründet, um „einen Stützpunkt künstlerischen Lebens im westlichen Industriebezirke zu schaffen.“ Die rasch wachsende Sammlung, aber auch das umfangreiche Ausstellungsprogramm machten das Museum Folkwang schnell zu einem der wichtigsten Kunstmuseen in Deutschland. Osthaus schätzte die moderne Malerei des späten 19. Jahrhunderts und erwarb schon früh Werke von Vincent van Gogh, Paul Gauguin, Ferdinand Hodler oder Edvard Munch. Doch auch die aktuellen künstlerischen Entwicklungen interessierten ihn sehr. Eine besondere Rolle spielte dabei der Expressionismus.
Mit allen wichtigen Zentren dieser revolutionären Kunstrichtung, die sich vor allem im deutschsprachigen Raum rasch ausbreitete, stand Osthaus in Verbindung. Er präsentierte Werke der 1905 in Dresden gegründeten Künstlergemeinschaft Brücke rund um Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff. Aber auch August Macke, Wassily Kandinsky, Alexej von Jawlensky, Gabriele Münter oder Franz Marc vom Blauen Reiter in München waren mit Ausstellungen zu Gast. Die Wiener Künstler Oskar Kokoschka und Egon Schiele konnten 1910 und 1912 ihre neuartigen Bilder vom Menschen in Hagen vorstellen. Auch die erste große Wanderausstellung zum Werk der jung verstorbenen Paula Modersohn-Becker nahm 1913 im Museum Folkwang ihren Ausgang.
Oft suchten die Künstler:innen den Kontakt zu Osthaus, denn es sprach sich schnell herum, wie aufgeschlossen das Museum und sein Gründer für die neueste Kunst waren. Franz Marc empfand sogar eine Geistesverwandtschaft und schrieb 1911 an Osthaus, dass das Museum Folkwang „in seiner Art schon ein Vorbild unseres Gedankenganges ist“. Eine geistige Nähe bestand auch zwischen Karl Ernst Osthaus und Ernst Gosebruch, der seit 1912 das städtische Kunstmuseum in Essen leitete. Gosebruch war fasziniert vom Expressionismus und organisierte mehrere Ausstellungen zu Emil Nolde, von dem er auch Gemälde erwarb. Als Osthaus im Frühjahr 1921 verstarb, war es nicht zuletzt der Initiative von Gosebruch zu verdanken, dass die Osthaus-Sammlung wenig später für Essen erworben werden konnte, wo sie 1922 gemeinsam mit der städtischen Sammlung zum neuen Museum Folkwang wurde.
Die Ausstellung Expressionisten am Folkwang zeichnet diese außergewöhnliche Geschichte anhand von Meisterwerken aus dem Museum Folkwang und wichtigen europäischen Sammlungen nach. Sie bringt Werke wieder zusammen, die einstmals in bedeutenden Ausstellungen in Hagen und Essen zu sehen waren oder für die Sammlung erworben wurden. Zugleich erzählt Expressionisten am Folkwang auch die Fortsetzung der Geschichte ab den 1920er Jahren. So blieb Ernst Ludwig Kirchner dem Museum verbunden und konzipierte ab 1925 eine groß angelegte Ausmalung für den Festsaal im Neubau des Museum Folkwang. Die farbigen Entwürfe und Gemälde geben faszinierende Einblicke in den vielschichtigen Prozess der künstlerischen Ideenfindung.
Die Zeit des Nationalsozialismus ab 1933 mündete für die Expressionisten wie für das Museum in eine Katastrophe. Der Expressionismus wurde nicht – wie Emil Nolde hoffte – zur repräsentativen Kunst der neuen Zeit erklärt, sondern im Gegenteil als „entartet“ diffamiert. Die staatlichen Beschlagnahmungen aus deutschen Museen 1937 betrafen deshalb vor allem expressionistische Kunst, und auch im Museum Folkwang blieb kaum ein Werk vom NS-bedingten Entzug verschont. Nachdem auch das Museumsgebäude im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, brachte die Zeit nach 1945 einen Neuanfang, bei dem die Würdigung des Expressionismus durch Ausstellungen und Ankäufe eine zentrale Rolle spielte. Bereits in den späten 1940er Jahren fanden wieder erste Expressionisten-Ausstellungen in Ausweichquartieren in Essen statt. 1958 wurde der Museumsneubau symbolträchtig mit einer groß angelegten Retrospektive zur Künstlergemeinschaft Brücke eröffnet. Durch Ankäufe, Schenkungen und Stiftungen wuchs in den folgenden Jahrzehnten wieder eine herausragende Sammlung expressionistischer Kunst im Museum Folkwang heran. In der Jubiläums-Ausstellung ermöglicht sie im Zusammenspiel mit Werken der ehemaligen Folkwang-Sammlung einen tiefen Einblick in die Bandbreite und Vielfalt des Expressionismus und seiner Geschichte.