SAMMLUNG WALTER GEBHARD: VOM ANKAUF ZUR NEUAUFSTELLUNG2021 erwarb das MK&G mit Hilfe der Campe’schen Historischen Kunststiftung die Sammlung von Walter Gebhard (1936–2019) mit über 500 Werken japanischer und chinesischer Malerei, Kalligrafie und Grafik. Der Bayreuther Germanistik-Professor Walter Gebhard setzte sich insbesondere für den japanisch-deutschen Dialog ein. In seiner sogenannten „Buddha-Bude“ teilte er sein weitverzweigtes Wissen mit nachfolgenden Generationen und sammelte Kalligrafien der buddhistischen Obaku-Schule, Malereien und Holzschnitte aus Japan und China. Die Neuerwerbung ergänzt die Museumssammlung um Kalligrafien und Malereien in Form von Hängerollen. Die neue Sammlungspräsentation „Inspiration Japan“ vermittelt die hohe Qualität der über 11.000 Objekte umfassenden Vorbildsammlung japanischer Kunst und Kunstgewerbes im MK&G und orientiert sich an charakteristischen Gestaltungsprinzipien, zum Beispiel die Durchdringung mit jahreszeitlichen Motiven und die Sichtbarmachung von Herstellungs- und Alterungsprozessen.
NEUE AUSSTELLUNGSRÄUMEERSTES OBERGESCHOSSAm zentralen Eingang markiert die Wiener Weltausstellung 1873 den Beginn der Sammlung Ostasien im MK&G: Gründungsdirektor Justus Brinckmann (1843–1915) sammelte vor allem japanische Objekte, was der damaligen Begeisterung für alles Japanische entsprach. Die Holzschnitte, aber auch Lacke und Keramiken faszinierten europäische Künstler*innen und lieferten wichtige Impulse für Jugendstil und Expressionismus. Am hinteren Eingang wird im Raum Samurai ein Themenkomplex angesprochen, der die Vorstellung von Japan weltweit prägt. Der Krieger (bushi) bzw. Samurai verkörpert Tugenden wie Aufrichtigkeit, Tapferkeit, Ehre und Treue. Dabei bilden historische Ereignisse die Grundlage für zahlreiche Geschichten über heldenhafte Samurai in Bildern, Büchern, Theaterstücken, Manga und Filmen.
Der Ausstellungsraum Themen japanischer Gestaltung greift beispielhaft drei Sujets auf, die über Gattungen und Zeiten hinweg japanische Gestaltung prägen: Der Berg Fuji dient als Beispiel für die Tradition der Bilder berühmter Orte (meisho-e). Das Nationalsymbol Japans hat durch die Verbreitung der Farbholzschnitte von Katsushika Hokusai (1760–1849) im 19. Jahrhundert globale Berühmtheit erlangt. Einzelnen Blättern seiner Serie „36 Ansichten des Berges Fuji“ ist die zeitgenössische Videoarbeit „The Summit“ (2019) von Shingo Yoshida (* 1974) gegenübergestellt und ermöglicht einen frischen Blick auf den Berg. Die vier Jahreszeiten sind nicht nur ein häufiges Bildthema, sondern auch entscheidend für den Umgang mit japanischem Kulturgut. Bilder und Alltagsgegenstände mit jahreszeitlichen Motiven dienen als vielschichtige Bedeutungsträger. So repräsentiert die Kirschblüte nicht nur den Frühling, sondern auch die Vergänglichkeit jugendlicher Schönheit, während die Chrysantheme dem Herbst zugeordnet ist und auf die Kaiserfamilie und Langlebigkeit verweist. Die japanische Lebenswirklichkeit und Kultur ist von zahlreichen übernatürlichen Wesen in Form rachsüchtiger Geister (yūrei) und dämonischer Figuren (yōkai) bevölkert. Japanische Holzschnitte, illustrierte Bücher und geschnitzte netsuke setzen diese fantastischen Wesen wie Teufel (oni), fuchsartige Gestaltwandler (kitsune) und Wasserbobolde (kappa) eindrucksvoll in Szene.
Das Kapitel Material im Fokus stellt gängige Materialien japanischen Kunsthandwerks wie Keramik, Lack, Bronze, Cloisonné und Bambus und damit einhergehende Gestaltungstechniken vor. Keramik zeigt sich dabei extrem vielseitig von rustikalem Steinzeug mit Ascheanflug bis zu feinstem polychrom bemalten Porzellan. Wie stark die Wahrnehmung der ostasiatischen Lackkunst mit Japan verbunden ist, verdeutlicht der Begriff Japanning, der die europäische Imitation von Lackoberflächen bezeichnet. Faszinierend filigran geflochtene Bambuskörbe dienen in erster Linie als Behältnisse für kunstvolle Blumengestecke (ikebana bzw. chabana bei der Teezeremonie). Das MK&G besitzt mit 60 Körben von Hayakawa Shōkosai I. (1815–1897) die weltweit größte Sammlung des frühen Flechtmeisters, der als wichtigster Vertreter seiner Zeit und Wegbereiter der modernen japanischen Bambusflechtkunst gilt.
Kleider machen Leute nimmt japanische Kleidung und ihre Bedeutung in den Blick. Figürliche Darstellungen auf Hängerollen und Farbholzschnitten zeigen schöne Menschen (bijin) – Schauspieler, Adlige, Geishas und Kurtisanen. Erstmals sind auch Kimonos aus der Sammlung Mode und Textil im Rahmen der Präsentation zu sehen. Die Produktion von Textilien wird anhand einer Auswahl der über 3000 Blätter umfassenden Sammlung an Färbeschablonen (katagami) thematisiert.
Ein weiterer Raum ist der insgesamt über 2000 Stücke umfassenden Sammlung japanischen Schwertschmucks gewidmet, die eine der Bedeutendsten in Europa ist. Die Präsentation von ca. 360 Highlightstücken führt in die Motive, Materialien, Techniken, Funktion, Produktionszentren und Schulen dieses Kunsthandwerks ein. Eine Augmented-Reality-Anwendung und 3D-Scans ermöglichen zudem das praktische Verständnis für Schwertmontierungen und einen genauen Blick auf die kleinen Objekte.
Die Teezeremonie chanoyu (wörtlich „heißes Wasser für Tee“) ist im MK&G durch das 1978 von der in Kyoto ansässigen Teeschule Urasenke errichtete Teehaus Shōseian (Hütte der reinen Kiefer) fest verankert. Hier finden wöchentlich Unterricht im japanischen Teeweg (chadō) und monatlich öffentliche Teevorführungen statt. Über das gemeinsame Teetrinken hinaus ist der Teeweg sowohl Bewusstseinsschulung wie Gesamtkunstwerk. Die hier praktizierende Gruppe der Urasenke-Teeschule Hamburg hat im Ausstellungsraum Teekultur vier Sets mit Stücken aus der Sammlung des MK&G so arrangiert, wie sie auch zur Teezubereitung genutzt werden.
Kunst und Kunsthandwerk Koreas sind in der Sammlung des MK&G mit rund 100 Werken vertreten. Im Bereich Inspiration Korea wird die koreanische Gestaltung sowohl in ihrer Eigenständigkeit als auch in ihrer Verflechtung mit chinesischen und japanischen künstlerischen Traditionen vorgestellt, wobei der Schwerpunkt auf den Keramiktraditionen Seladon und Buncheong liegt.
Der Ankauf der Sammlung Walter Gebhard mit einem umfangreichen Konvolut an Kalligrafie vor allem von Ōbaku-Mönchen ermöglicht den Ausbau der Buddhismus-Präsentation um das Thema Zen-Buddhismus. Zen (chin. Chan, kor. Seon) bedeutet wörtlich Meditation. Kalligrafie und Tuschemalerei dienen im Zen-Buddhismus als Ausdruck und Dokumentation eigener Einsichten und als eine künstlerische Form der Meditation, da die scheinbar einfache, schnelle Pinselführung mit Tusche enorme Konzentration und Übung erfordert.
ZWEITES OBERGESCHOSSIm zweiten Teil der Ausstellung sind Highlights aus der Sammlung Walter Gebhard zu sehen. Die 30 Hängerollen, Fächerbilder und Albumblätter verdeutlichen die Vorliebe des Sammlers für lyrische Naturdarstellungen im Genre der Blumen-und-Vogel-Malerei (kachōga) und ermöglichen den Besucher*innen einen intimen Einblick in die japanische Naturauffassung im 19. Jahrhundert. Besonders stark vertreten sind dabei Maler*innen aus Kyoto und Umgebung, die für ihre naturalistische Malweise bekannt sind wie z.B. Mori Ippō (1798–1871), Chō Gesshō (1772–1832) sowie Maler*innen der sogenannten Kishi-Schule. Für die Entwicklung ihrer Ästhetik und Malweise ließen sie sich von chinesischer Malerei inspirieren, die hier ebenfalls mit einigen Werken aus der Sammlung Walter Gebhard zu sehen ist.
Die Neukonzeption der Sammlung Ostasien wird unterstützt von der Justus Brinckmann Gesellschaft und der Hans Brökel Stiftung für Wissenschaft und Kultur.
Öffnungszeiten heute10:00 - 18:00
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