Wenn es um Pornografie geht, gilt meist: Alle schauen, niemand spricht. Die Ausstellung Schaulust! möchte das ändern, indem sie Pornografisches in den Fokus stellt und eines kulturanthropologischen Blicks würdigt. Pornografiekonsum wird dabei einerseits als Teil des Alltags von Millionen Menschen verstanden, andererseits als Inszenierung, die mit sexueller Alltagspraxis nicht viel zu tun hat. Schließlich wird Sex selten so erlebt wie im Sexfilm.Das Pandemiejahr 2020 war auch ein Jahr der Pornografie und der Pornodiskurse: Schon während des ersten Lockdowns wurde die Internetplattform Pornhub in den Wirtschaftsnachrichten zu jenen Unternehmen gezählt, die von Kontaktverbot und Langeweile profitierten. Acht Monate später erhob die New York Times schwere Vorwürfe gegen die Plattform, die „überschwemmt“ sei von Vergewaltigungsvideos, Rachepornos und „authentischen“ Gewaltdarstellungen. Die Weltöffentlichkeit war alarmiert; Forderungen nach Restriktionen wurden laut – erhoben von Feminist*innen, Jugendschützer*innen und fundamentalistischen Christ*innen.
Auf den ersten Blick wirkten die hierdurch ausgelösten Diskussionen wie eine ins Zeitalter des „digitalen Kapitalismus“ translozierte Neuauflage der von Alice Schwarzer („PorNO!“) ausgelösten Debatten der 1980er-/90er-Jahre: Hier „sexpositive“ Liberale, die nicht allzu viel Anstößiges erkennen konnten, dort „Sittenwächter*innen“, die Pornografie strengstens reglementiert sehen wollen. Neu hingegen war, dass auch differenzierte Zwischentöne Gehör fanden: Etwa als Anfang 2021 die in Wien lebende Pornoproduzentin Adrineh Simonian im „Falter“-Interview für „ethisch produzierte und ästhetisch anspruchsvolle Sexfilme“ warb.
Qualifizierten Input erhielt die Debatte auch von der Kulturwissenschafterin Madita Oeming, die sich als Feministin versteht, Pornografie aufgeschlossen gegenübersteht, über die Thematik forscht und immer wieder deutlich macht: Der öffentlichen Pornodebatte mangelt es an wissenschaftlicher Fundierung. Für das Volkskundemuseum Anlass genug, das popkulturelle Massenphänomen „Pornografie“ eines näheren Blicks zu würdigen und Aspekte der Schaulust zur Schau zu stellen. Schließlich sei es, so Ausstellungskurator Peter Hörz, „wünschenswert, aktuelle wissenschaftliche Diskurse zu Pornografie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen“.
Von der Frühzeit der Fotografie bis zu GegenwartsphänomenenGegliedert in ein gutes Dutzend Themenfelder zeigt die Ausstellung unter anderem pornografisches Material aus der Frühzeit der Fotografie und thematisiert die auf Darstellungen des heiligen Sebastian bezogene Schaulust des 16. Jahrhunderts. Erinnert wird an den jahrelangen Kleinkrieg zwischen dem „Österreichischen Kontaktmagazin“ (ÖKM) und dem stets echauffierten „Pornojäger“ Martin Humer sowie an erregende Aufklärungslektionen in der „BRAVO“. Mit Blick auf Gegenwartsphänomene fragt die Ausstellung aber natürlich auch nach „Onlyfans“ und den Darsteller*innen dieser Plattform sowie nach der Pornografisierung der Alltagsästhetik im Kontext nichtpornografischer sozialer Medien. Gezeigt werden zudem Sequenzen aus pornografischen Filmklassikern und Medien, die exemplarisch für verschiedene Genres der Pornografie stehen. Dabei ginge es aber, so Kurator Hörz, „nicht einfach darum, eine pornografische Kuriositätenschau zu präsentieren, die den Voyeurismus bedient, sondern um ein Angebot zum Schauen und einen Impuls zum Darüberreden.
Der Kurator Peter Hörz ist Kulturwissenschafter, forscht über Arbeit, Mobilität, Geschlecht und Queerness und lehrt am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Karl-Franzens-Universität Graz, am Lehrstuhl für Europäische Ethnologie/Volkskunde der Universität Würzburg und an der Hochschule Esslingen.