1913 bemalte Kasimir Malewitsch den Bühnenvorhang der in St. Petersburg urauf-geführten Oper „Sieg über die Sonne“ mit einem großen schwarzen Quadrat. Es folgten schwarze Quadrate, auf Leinwand, gezeichnet und lithografiert, zunächst unterwildem Protest der einschlägigen Kritik und des überrumpelten Publikums. Doch dieses Grundlagenwerk beziehungsweise -motiv revolutionierte mit seiner elementarenFormensprache die Moderne. Zahllose Künstler bezogen und beziehen sich bis heuteauf diese radikale Hinwendung zur Gegenstandslosigkeit. Radikal schon deshalb, weilim Konstruktivismus (oder Suprematismus) nicht Gegenstände, Personen, Landschaf-ten abstrahiert werden, sondern geometrisches Gestaltungsvokabular zu einer dynamischen Komposition gefügt wird. Ohne Ziel und Zweck. Gespeist von einemkünstlerischen Absolutheitsanspruch (reichlich pathetischer O-Ton Malewitsch im Jahr1923: „Ich habe die nackte Ikone meiner Zeit gemalt ... das Königliche in seiner Wort-kargheit“). Auch wenn der rabiate Umgang mit dem künstlerischen Ausdruck sich baldabschwächte, nicht zuletzt, weil die russische Nomenklatura keine sinnvolle, sprichvolksmanipulative Verwendung für diese Art von Kunst erkennen konnte und sichdagegen wandte, die Faszination und die daraus resultierende Auseinandersetzungblieb. Bis heute.
Marli Hoppe-Ritter, Enkelin der Erfinderin der quadratisch-praktischen Schokoladen-tafel und Gesellschafterin des international renommierten Familienunternehmens,Juristin, philanthropische Unterstützerin von Frauen in Not sowie gerecht vergütetemund dabei nachhaltigem Kakaoanbau etwa in Nicaragua, sammelt seit Beginn derneunziger Jahre Kunst. Das Hauptaugenmerk der Marli-Hoppe-Ritter-Stiftung zurFörderung der Kunst gilt den Hervorbringungen geometrisch-abstrakt arbeitenderKünstler, ihren konstruktiv-konkreten Bildleistungen, angefangen beim (freilich nichtnur dem großmütterlichen Einfall verdankten) ikonischen Quadrat, über kubo-futuristi-sche Arbeiten, Werke der Bauhaus-Adepten, der Zürcher Konkreten und der Mitgliederder de Stijl-Bewegung bis hin zur aktuellen kinetischen, auch fotografischen Kunst.
2005 hat Marli Hoppe-Richter neben den Unternehmenssitz in Waldenbuch ein derÄsthetik ihres Sammelschwerpunkts entsprechendes puristisch-kubisches Museumsge-bäude gestellt. Dort zeigt sie in regelmäßig wechselnden Ausstellungen Auszüge ausihrer mittlerweile gut 1200 Werke umfassenden Sammlung zu ihrem inzwischen auchweiter gefassten Thema.
„Klassische Werke der konkret-konstruktiven Kunst aus dem 20. Jahr-hundert“, postulierte die Sammlerin einmal in einem Interview, „werden auch inZukunft von Bedeutung sein, denn ohne diese historischen Positionen ist eintieferes Verständnis der zeitgenössischen Kunst gar nicht möglich.“ Die Er-weiterung der Sammlung sei vor allem auch im Hinblick auf die aktuelle Gegenwarts-kunst wichtig und erweise sich als ausgesprochen tragfähig, da das Quadrat ein Motivmit unerwartetem Potenzial sei.
Ketterer Kunst veranstaltet außerhalb der branchenüblichen Vorbesichtigungen zuden jeweils aktuellen Auktionen seit etlichen Jahren Ausstellungen in der BerlinerRepräsentanz gleich beim Kurfürstendamm. Seit vergangenem Jahr auch in der neu er-öffneten Dependance in Köln. Damit gibt das Münchner Haus angemessene Gelegen-heit für Entdeckungen in musealer Qualität jenseits ausgetretener Pfade. Mal sind dasthematisch gebündelte Überblicksausstellungen zu Positionen der zeitgenössischenoder der Nachkriegskunst, mal Präsentationen von privaten Sammlungen.
Ab 24. Februar geben nun knapp fünfzig Werke aus der PrivatsammlungHoppe-Ritter ihr Berliner Gastspiel. Die sorgfältig kuratierte Auswahl ist inihrer Bandbreite exemplarisch für die nunmehr hundertjährige Entwicklungs-geschichte der konstruktiven Kunst – und birgt eine ganze Reihe von Über-raschungen, die den Blick für eine vielleicht sogar neue, in jedem Fall unver-stellte Rezeption einer nie erstarrten Kunstrichtung schärfen können.
Das Spektrum der knapp fünfzig Werke, diesich, je nach Naturell und Ansatz ihresSchöpfers, ernsthaft, spielerisch, mathe-matisch, spirituell oder analytisch mit der Ideal-form eines Vierecks beschäftigen, reicht vonfrühen Arbeiten auf Papier der erstenSuprematisten über Josef Albers‘„Homage tothe Square“ von 1961, einer Großvariante sei-ner berühmten Quadratschachtelungen, zu„Caput mortuum“, einer quadratisch-ironischenHardedge-Malerei von 1978 des Schweizers Camille Graeser; sie umfassen etwa nebendem winzigen Schreibmaschinendruck des zu Unrecht wenig beachteten Peter Roehr gleichermaßen aktuelle Positionen jungerKünstler, denen die Sammlerin große Aufmerksamkeit widmet, soll heißen, auf derSpur ist.
Geometrie, Schokolade und ein ausgeprägter Kunstsinn –wie spannend dieser außergewöhnliche Dreiklang ist, wiegut er funktioniert, wenn er mit Hingabe und Kennerschaftdurchdrungen ist, lässt sich vom 24. Februar bis 4. Mai inder Berliner Repräsentanz (Fasanenstraße 70) des MünchnerAuktionshauses Ketterer ausgezeichnet nachvollziehen.
Mo bis Sa 12 – 16 UhrKetterer Kunst, Fasanenstraße 70, 10719 BerlinGezeigt werden Werke u.a. von Josef Albers, Antonio Calderara, Enrico Castellani, Camille Graeser, Gerhard Richter und Victor Vasarely.
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