Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) hat im Mai 2010 als eines der ersten Museen für Angewandte Kunst in Deutschland mit der systematischen Erforschung der Herkunft seiner Sammlung begonnen. Kunstwerke, die während und nach der Zeit des Nationalsozialismus in das Haus gelangt sind, werden von einer Provenienzforscherin mit Blick auf eine mögliche verfolgungsbedingte Zugangsgeschichte untersucht. Die bisher ermittelten Provenienzen dokumentieren eine Vielzahl von spannenden Objekt-Biografien, die den Anstoß dazu gegeben haben, der Provenienz-forschung im MKG eine eigene Ausstellung zu widmen. Recherchierte Objekte und die zugehörigen Forschungs-materialen, darunter Auktionskataloge und Inventarbücher, Archivalien oder Kunstzeitschriften, sollen in einer Sonderschau vorgestellt werden und einen Einblick in das wissenschaftliche Arbeiten vermitteln. Von dort führt ein Parcours in die Dauerausstellungen des MKG, zu Kunstgegenständen, die bereits im Visier der Provenienzforschung gestanden haben oder für die noch Recherchebedarf besteht. Ziel ist es, einen ergebnisunabhängigen Einblick in die Provenienzrecherche zu geben.Die Ausstellung versteht sich als eine Art Work in Progress, in die neue Forschungs-ergebnisse fortlaufend eingearbeitet werden. Sie ist als Sonderpräsentation der hauseigenen Sammlung angelegt und soll zunächst über eine Zeitspanne von etwa 24 Monaten zu sehen sein.In der Ausstellung werden Kunstgegenstände mit gesicherten Provenienznachweisen ebenso wie Objekte gezeigt, deren Herkunftsgeschichten ungeklärt sind oder für die noch Forschungsbedarf besteht. Dazu zählen beispielsweise sämtliche Zugänge der NS-Kernzeit, also etwa 600 Kunstgegenstände, die zwischen 1933 und 1945 vom MKG erworben wurden oder dem Haus geschenkt worden sind. Doch auch spätere Ankäufe müssen überprüft werden, denn für alle Kunstgegenstände die vor 1945 entstanden und gehandelt worden sind, ist ein Nachweis über ihren Verbleib während der NS-Zeit notwendig.
Die Provenienzforschung durchzieht nahezu alle Abteilungen des MKG. Aus den Zugangsgeschichten ergeben sich spannende und neue Sichtachsen, die Kunstgegenstände miteinander in Beziehung setzen, die zu unterschiedlichen Sammlungsbereichen gehören.Was verbindet ein spätmittelalterliches Stangenglas mit fernöstlichem Porzellan? Welche Allianz gehen eine Renaissancetür und kostbare Trinkspiele ein? Aufgezeigt werden Netzwerke und Beziehungen, die in den Herkunftsgeschichten ihre Ursache haben und geprägt sind von den Vorlieben der Privatsammler und den Bedingungen des Kunsthandels. Was stammt beispielsweise aus ein und derselben Kunstauktion oder was gehörte ehemals gemeinsam in eine private Kunstsammlung? Die Geschichten der Kunstgegenstände sind so verschieden und vielseitig wie die Objekte selbst. Doch welche Erkenntnisse lassen sich daraus gewinnen? Über eine umfassende Dokumentation sollen die recherchierten Wege und Forschungsansätze in der Provenienzforschung nachvollziehbar werden.
Mit der Unterzeichnung des Washingtoner Abkommens 1998 ist die Provenienzforschung für deutsche Museen verbindlich geworden. Der Zweck dieses Auftrags ist es, diejenigen Kunstgegenstände aufzuspüren, die mit einer möglichen NS- verfolgungsbedingten Zugangsgeschichte belastet sind, ihre Herkunft und ihren Verbleib während der NS-Zeit zu ermitteln und im Bedarfsfall Wiedergutmachung zu leisten. Das MKG stellt sich seiner historischen Verantwortung und möchte jetzt, nach einer Zeitspanne intensiven Forschens, erste Ergebnisse und Erkenntnisse vorstellen. Dabei liegt der Fokus auf den „Biografien“ der einzelnen Kunstgegenstände. Jedes Stück hat seine eigene Geschichte, die verknüpft ist mit seiner Entstehung, seiner Funktion und seinem Weg in die Museumssammlung.
Die Provenienzrecherche verbindet einen aktuellen Forschungsauftrag mit einer traditionsreichen Museumsdisziplin, nämlich einer kontinuierlichen Erforschung der Sammlung und der Geschichte des eigenen Hauses. Bei ihren Recherchen werden die Museen von der Politik unterstützt und mit Mitteln des Bundes über die Arbeitsstelle für Provenienzforschung am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin/Stiftung Preußischer Kulturbesitz gefördert.
Das MKG möchte mit dieser Ausstellung an Beispielen aus dem eigenen Bestand sowohl Möglichkeiten wie auch Grenzen der Provenienzforschung aufzeigen. Der offene Umgang mit der eigenen Geschichte spielt in der Schau ebenso eine Rolle, wie die Frage nach der historischen Verantwortung eines Museums und den Recherchemöglichkeiten selber. Die Ausstellung soll einen Beitrag dazu leisten, Vorbehalte gegenüber der Provenienzforschung abzubauen. Museen geraten immer wieder in die Kritik, weil sie oft erst reagieren wenn sie mit Restitutionsforderungen konfrontiert sind. Die zeitintensiven Recherchen sind unter Zeitdruck kaum zu leisten und bergen so die Gefahr umstrittener Entscheidungen. Diese Forschungsarbeit, die in der öffentlichen Meinung immer wieder mit dem Makel des Verlustes besetzt ist, gilt es nach den Erfahrungen im eigenen Haus mit dieser Ausstellung in ein neues Licht zu setzen.