Anri Salas Video Intervista (1998) handelt vom Bruch, den politische Veränderungen innerhalb einer individuellen Biografie hervorrufen, von Phänomenen der Fremdheit, des Schmerzes der Erinnerung und des Verschweigens. Erik Levines Video Someone hears a shot (2008) erzählt von einem Vater, der ein Leben gelebt hatte, von dem sein Sohn keinerlei Kenntnis gehabt hatte, und der seinem Sohn in einem fundamentalen Sinne fremd war.Gillian Wearing verlagert das Fremde (im Video 10-16, 1997) in das jeweilige biografische Subjekt, indem Texte von Kindern und Jugendlichen von erwachsenen Schauspielerinnen und Schauspielern gesprochen werden. In einer absoluten Zeitlosigkeit und einem identitätslosen Raum tauchen Erinnerungsbruchstücke und Bekenntnisse von Scham und Verzweiflung, Angst und Hoffnung auf, die gerade dadurch, dass ein ihnen zuzuordnendes Individuum fehlt, in ihrer Verfremdung dem Betrachter in ungemilderter Tragik, mit einer ausweglosen Nacktheit entgegentreten. Mit dem Mittel der Verfremdung und der Überblendung von Text und sprechendem Protagonisten agiert auch Chloe Piene in Little David (1999). Das Bedrohliche des halbnackten Kindes, das einen martialischen Text deklamiert, liegt in der möglichen Antizipation seines zukünftigen Lebenswegs als Mann. Von Chloe Piene ist in der Ausstellung außerdem eine Reihe großformatiger Zeichnungen zu sehen.
Eine Öffnung zu einer undeterminierten Zukunft deutet sich in Ben Rivers‘ Film Ah Liberty! (2008) an, der die Kinder als in sozialer Hinsicht fremdartige Wesen von archaischer Wildheit entwirft. Das Fremdwerden des Vertrauten und des Selbst in der Pubertät wird durch Sharon Margarets Arbeiten thematisiert, während Edith Amituanais Fotografien das Fremdsein (in einer fremden Kultur) und das Fremdwerden (durch die individuelle Entwicklung) miteinander verschmelzen.
Die Ausstellung versucht, das fundamentale Fremdsein aller mit allen dort zu verorten, wo man es gewöhnlich nicht zu finden versucht: im Kind und in seinem Verhältnis zu seiner Umwelt. Das Kind ist uns als kulturelle Ikone vertraut, als Inbegriff des Urvertrauens in die Welt; es ist uns vermeintlich vertraut, weil wir alle einmal Kinder waren; es erscheint uns vielleicht vertraut, weil wir möglicherweise selbst Eltern sind; es ist uns vertraut, weil mit ihm Hoffnungen auf ein nicht beschädigtes, nicht entfremdetes Leben verbunden werden, und weil Kindheit immer erneut die Hoffnung zu erwecken imstande zu sein scheint, dass, trotz aller gegenteiligen Erfahrungen und Erkenntnisse, ein vollkommen gelingendes Leben möglich sei. Ob Ronnie van Houts Arbeit Be Someone Else (1997) eine tragfähige Option in dieser Hinsicht repräsentiert, mag dahingestellt bleiben.
Die Ausstellung vereint Positionen aus den USA (Erik Levine), Europa (Chloe Piene, Ben Rivers, Anri Sala, Gillian Wearing), aus Neuseeland bzw. Samoa (Ronnie van Hout, Edith Amituanai) und Australien (Sharon Margaret).
Die Ausstellung wurde in der Dunedin Public Art Gallery, Neuseeland gezeigt und ist bis 6. Oktober 2013 in der Landesgalerie Linz zu sehen.