Die Titelwahl der Ausstellung Im Osten nichts Neuesist eine bewusste Anlehnung an Erich Maria Remarques weltberühmten Roman „Im Westen nichts Neues“, der die Schrecken und die Sinnlosigkeit des Krieges auf eindringliche Weise darstellt. Der Titel impliziert, dass sich trotz der vergangenen Kriege und ihrer Lektionen an der grundlegenden Natur von Gewalt und Leid nichts geändert hat. Ornauer möchte aufzeigen, dass Krieg nach wie vor das Leben und die Gesellschaften zerstört und dass sich die seelischen Erschütterungendes Krieges –sowohl auf persönlicher als auch kollektiver Ebene –über Generationen hinweg wiederholen. Durch die Verbindung zu Remarque wird deutlich, dass die Ausstellung nicht nur eine Auseinandersetzung mit dem aktuellen Krieg ist, sondern auch eine universelle und zeitlose Reflexion über die verheerenden Auswirkungen von Kriegen und Gewalt auf die Menschheit.
Betroffenheit und massive seelische Erschütterungbilden das konzeptionelle Rückgrat dieser Ausstellung. Ornauer greift die Erfahrungen seinerGroßelternauf, dieaktiv im Krieginvolviert waren, bzw. die Folgen des Kampfes austragen mussten,und stellt sie in einen Dialog mit den aktuellen Ereignissen. Die Kriegserlebnisse dieser Generation sind zu einer Art Erbschaft geworden, die sich nicht nur in der Familiengeschichte, sondern auch in den individuellen künstlerischen Ausdrucksformen des Künstlers manifestiert. Diese transgenerationale Weitergabe von seelischen und psychologischenWunden,die tief in das Bewusstsein und Unterbewusstsein der Nachkommen eindringt, wird in den Werken durch die Vermischung von figurativen und abstrakten Elementen visualisiert.
Das Konzept des „kollektiven Gedächtnisses“, wie es von Theoretikern wie Maurice Halbwachs geprägt wurde, spielt hierbei eine Schlüsselrolle. Ornauer reflektiert, wie individuelle Kriegserfahrungen der Großelterngeneration Teil eines größeren gesellschaftlichen Gedächtnisses werden und diekollektive Wahrnehmung von Krieg und Gewalt prägen. In diesem Sinne stehen Ornauers Werke nicht nur für das individuelle Erleben, sondern verkörpern eine universelle Erfahrung von Trauma und Verlust, die auf unterschiedliche Weise kulturell und historisch weitergetragen wird.
Ein weiteres wesentliches Thema der Ausstellung ist die Abstraktion von Krieg und Gewalt. Michael Ornauers Arbeiten stehen in einem Spannungsfeld zwischen Abstraktion und Figuration, wobei letzteres besonders hervorgehoben wird, um die Unfassbarkeit und Unerklärlichkeit von Kriegserfahrungen auszudrücken. Ornauer, der seit vielen Jahren nur abstrakt arbeitet, kehrt für diese Serie in die gegenständliche Malerei zurück, da aus seiner Perspektive die Abstraktion dem Thema nicht gerecht werden kann.
Die Schichtung und Entfernung von Farbe in seinen Werken spiegelt diesen Prozess wider: In der Abtragung von Schichten werden nicht nur Bildfragmente zerstört, sondern gleichzeitig neue Perspektiven auf das zugrunde liegende Trauma freigelegt. Die dichten Farbschichten in Werken wie Das Monstrumund Schlachtfeld sind Ausdruck einer Art „künstlerischen Kintsugi“, in dem die Abfolgenund Zerstörungen nicht kaschiert, sondern bewusst in den Vordergrund gerückt werden, um eine ästhetische Auseinandersetzung mitKriegstraumata zu ermöglichen.
Ornauers Technik der Fragmentierung und Wiederherstellung entspricht einer traumatischen Narration, in der Brüche und Risse sowohl im individuellen als auch kollektiven Bewusstsein auftreten. Die bewusste Reduktion von Formen und der Wechsel von intensivenFarbflächen zu nahezu monochromen Bereichen unterstreichen die Figurationals Mittel zur Erfassung einer emotionalen Tiefe, die durch Kriegserlebnisse hervorgerufen wird. Durch die Abstraktion wird der Krieg als unaussprechliche, chaotische Kraft dargestellt, die die Fähigkeit der Repräsentation selbst infrage stellt.
Die Ausstellung Im Osten nichts Neueszeichnet sich durch eine mehrschichtige Reflexion über Trauma und die Abstraktion von Krieg aus. Michael Ornauer verbindet in seinen Arbeiten kollektivehistorische Erfahrungenmit dem aktuellen geopolitischen Kontext des ukrainisch-russischen Krieges. Durch die figurativeMalweise und die bewusste Schichtung und Entfernung von Farbe werden die ungreifbaren und zerstörerischen Aspekte des Krieges visualisiert. Die Ausstellung lädt das Publikum ein, sich nicht nur mit der physischen Zerstörung auseinanderzusetzen, sondern auch mit den unsichtbaren, psychischen Wunden, die durch Krieg und Gewalt entstehen.
Anne Avramut
Mi - Fr, 12 - 18 Uhr | Sa, 12 - 16 Uhr | u. n. V.Weitere Informationen unter www.galerie-supper.de
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